Auszug aus der Basler Zeitung. Artikel von Nina Jecker. Publiziert am 28. April 2020.
Interview mit Lea Ziörjen, Life und Business Coach
Homeoffice und Achtsamkeit: So wird die Krise zur persönlichen Chance
Der Lockdown kann eine grosse Belastung sein, bringt aber auch ganz neue Möglichkeiten. Vier Experten verraten, weshalb man jetzt besonders gut in sich hineinhören sollte.
Einfach nur daliegen und dem Vogelgezwitscher lauschen – viele möchten diese Ruhe in den neuen Alltag integrieren.
Der Exit aus dem Lockdown hat begonnen. Während es vielen Gewerbetreibenden nicht schnell genug gehen kann, fürchten sich andere bereits vor der Rückkehr in die Normalität. Vor dem Tempo, dem Pendeln, den ständigen Terminen. Aber wie können wir das heimelige Gefühl in den Alltag nach Corona retten? Vier Antworten von vier Fachpersonen aus der Region.
Lea Ziörjen, Life und Business Coach
«Eine Veränderung wie der Lockdown löst viele Ängste aus. Aber die Menschen sind Anpassungskünstler und merken rasch: Hey, so geht es ja auch, vielleicht sogar besser. Man muss nicht mehr in überfüllten Zügen pendeln, hat viel weniger Meetings, und jeder hat Verständnis, wenn man eine Aufgabe nicht sofort erledigen kann. Normalerweise hetzen viele von uns von Termin zu Termin und merken dabei gar nicht, wie Jahr um Jahr an ihnen vorüberzieht. Häufig kommt es erst zu einer Veränderung, wenn ein Ereignis wie etwa ein Burn-out sie aus der Bahn wirft. Im Coaching schauen wir uns an, wie ein Leben für den Klienten aussähe, das sich richtig gut anfühlt, und erarbeiten dann einen Weg, wie man das ernst nehmen und umsetzen kann. Die Corona-Krise gibt uns die einmalige Chance, nicht nur in Gedanken, sondern tatsächlich auszutesten, was uns entspricht. Darum sollte man in diesen Tagen genau in sich hineinhören: Was gefällt mir am jetzigen Zustand besser, wovon möchte ich mehr in meinem Leben? Und wenn die Antwort klar ist: kleine Schritte auf dem Weg dahin umsetzen. Ein Tag Homeoffice pro Woche kann da jemandem vielleicht schon reichen.»
Klaus Bader, leitender Psychologe UPK
«Die Corona-Massnahmen haben viel gebracht, das Menschen guttut – zumindest jenen, deren Existenz dadurch nicht gefährdet ist. Zwar wurden durch äusseren Zwang Freiheiten eingeschränkt, aber dafür entstanden neue. Von daheim aus zu arbeiten, erhöht beispielsweise die eigene Bestimmungshoheit im privaten Bereich. Man ist nicht mehr so stark von äusseren Faktoren getaktet. Auch die erzwungene Ruhe empfinden viele als wohltuend, das Karussell aus beruflichen und privaten Terminen wurde fast komplett angehalten. Ich glaube aber nicht daran, dass die Corona-Krise gesamtgesellschaftlich etwas verändern wird. Wer für sich ein Stück Entschleunigung beibehalten möchte, muss daher vermutlich negative Folgen wie Nachteile im Job oder enttäuschte Bekannte in Kauf nehmen. Hier konsequent zu bleiben, braucht Mut. Ich empfehle daher, sich jetzt aufzuschreiben, weshalb es einem gerade besser geht als sonst. Wenn später dann Gegenwind kommt, kann man sich immer wieder bewusst daran erinnern, dass man weiss, welche Dinge, Rituale oder auch Menschen einem guttun und was oder wer eben nicht.»
Alice Bauer, Einrichtungs- und Ordnungsexpertin
«Die Pandemie weckt in uns den Urinstinkt nach Schutz für sich und seine Liebsten, und das eigene Zuhause ist im Moment für viele das Medium, um das umzusetzen. Die Kinderbetreuung zu Hause und das Homeoffice stellen ausserdem ganz neue Anforderungen an die Wohnräume. Viele Menschen nutzen daher die Zeit im Lockdown, um auszumisten, Ordnung zu schaffen und sich neu einzurichten. Wer ausmistet, räumt aber nicht nur seine Wohnung auf, sondern setzt sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander und damit, wer man heute ist, was man mag und was nicht mehr. Wer ausgemistet hat, erlebt am Ende eine enorme innere Befreiung. Um das zu erreichen, rate ich, nach einem System vorzugehen wie beispielsweise der Konmari-Methode. Damit die neue Ordnung auch nach Corona aufrechterhalten werden kann, sollte ausserdem jeder Gegenstand einen festen Platz zugewiesen bekommen. So kann der Lockdown der Start zu einem neuen Wohn- und damit auch Lebensgefühl sein.»
Regula Saner, Achtsamkeitstrainerin
«Entschleunigung, Achtsamkeit, Solidarität. Das sind die Qualitäten, die uns die Corona-Krise trotz oder gerade wegen all ihrer negativen Folgen gebracht hat. Als selbstständig Erwerbende waren die Massnahmen des Bundes für mich anfangs ein Schock. Aus der eigenen Misere heraus suchte ich nach etwas Sinnvollem, was ich tun könnte, um auch anderen in der neuen Situation zu helfen. So entwickelte sich die Idee einer gemeinsamen, geführten Online-Meditation, die ich zusammen mit anderen Lehrenden in dieser Zeit jeden Tag ab 13 Uhr kostenlos anbiete. Das Meditieren gibt den Menschen einen Anker im Tag und hilft ihnen, in der veränderten Situation ruhig zu bleiben. Ich hoffe, dass ein grosser Teil von ihnen oder sogar die Gesellschaft als Ganzes die jetzige Krise als Chance nutzen kann, indem sie den momentanen Fokus auf die Gefühle und das Mitgefühl weiter kultiviert. Oder auch die Dankbarkeit, die so viele momentan verspüren. Für unseren stabilen Staat, das Gesundheitssystem oder die eigene Gesundheit – wer das Gefühl von Dankbarkeit und den Fokus auf alles, was schön ist oder gut läuft, in den Alltag retten kann, hat schon viel erreicht.»
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